«Hätten beinahe unser Kind verloren» – Bub von Hund angegriffen

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Hundeattacke«Wir hätten an diesem Tag beinahe unser Kind verloren»

Der Sohn von Stefanie H. wurde von einem Rottweiler angegriffen und schwer verletzt. Für die Mutter ist klar: Die Schuld trägt nicht nur der Hundehalter, sondern auch der Veterinärdienst.

Darum gehts

  • Vor rund einem Jahr wurde in der Region Olten ein damals zweieinhalbjähriges Kind von einem Rottweiler angegriffen und schwer verletzt.

  • Die Mutter erhebt nicht nur Vorwürfe gegen den Halter, sondern auch gegen das Veterinäramt. Dieses habe mit der Maulkorbpflicht zu lange zugewartet.

  • Im Jahr 2022 war dem Halter bereits im Kanton Aargau mit einer Maulkorbpflicht für seinen Hund gedroht worden. Sie wurde nur nicht verfügt, weil der Mann danach wegzog.

Der 14. April 2023 dürfte Stefanie H.* noch lange in schmerzlicher Erinnerung bleiben. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem damals zweieinhalbjährigen Sohn Marvin** hielt sie sich an jenem Morgen in einem Wald in der Region Olten auf. Während die 30-Jährige Pilze suchte, befand sich ihre Mutter mit dem kleinen Marvin nur wenige Meter entfernt bei einer Vitaparcours-Station. Der Bub stand dabei auf einem etwa 80 Zentimeter hohen Holzblock, umschlungen von den Armen seines Grosis.

Plötzlich hörte H. ihre Mutter schreien: «Als ich aufblickte, sah ich, wie dieser Hund mein Kind wegzerrt.» Nach Angaben von H.s Mutter kam der Rottweiler, der trotz Leinenpflicht nicht angeleint war, aus etwa 15 Metern Entfernung angerannt. Er sei aufgesprungen, habe Marvin in den Oberschenkel gebissen und ihn der Grossmutter aus den Armen gerissen. Danach habe er den Jungen «sicher vier bis fünf Meter» über den Waldboden geschleift, erzählt H. Erst als der Halter ihn mehrmals mit einer Kette auf die Nase schlug, habe der Hund von dem Bub abgelassen.

«Das sind Bilder, die ich nicht mehr aus meinem Kopf bekomme»

Stefanie H.

Bleibende Narben

Laut dem Arztbericht erlitt Marvin bei dem Angriff vier Bisslöcher im linken Oberschenkel, zwei davon reichten vier Zentimeter tief. Die Narben sind auch ein Jahr nach dem Ereignis noch deutlich zu sehen. «Mein Sohn sagt manchmal zu mir: ‹Mami, eg wot die Narbe ned.› Das zu hören, tut mir als Mutter extrem weh», so die Solothurnerin.

Fast eine ganze Woche musste Marvin im Spital bleiben. Unter Vollnarkose erfolgten eine operative Wundversorgung sowie eine antibiotische Therapie. «Die Ärzte meinten, wir hätten unfassbares Glück gehabt.» Denn wäre der Biss wenige Zentimeter weiter oben erfolgt, hätte es auch die Hauptschlagader treffen können. «Wir hätten an diesem Tag beinahe unser Kind verloren», sagt H. mit stockender Stimme.

Sie brauche sich wegen des Vorfalls nun nicht vor jedem Hund zu fürchten, würden manche Leute zu ihr sagen. «Aber die Angst ist nun einmal da und mir kann niemand versprechen, dass das meinem Kind nie wieder passiert.»

Verstoss gegen Auflagen

Dem Halter des Rottweilers gegenüber zeigt sich die heute zweifache Mutter unversöhnlich. Einerseits habe er am Tag des Vorfalls «total verantwortungslos» gehandelt, indem er seinen Hund nicht an der Leine führte. Andererseits habe er «bis heute nicht begriffen, was sein Hund angerichtet hat».

Zu diesem Schluss kommt H. vor allem deshalb, weil der Mann zumindest teilweise gegen die nach dem Vorfall verhängte Maulkorbpflicht verstossen hat. Im letzten September etwa erstattete eine Nachbarin eine Meldung an den Veterinärdienst, nachdem der Rottweiler auf seinem Spaziergang keinen Maulkorb um den Fang getragen hatte. Ein entsprechendes Foto liegt 20 Minuten vor.

Gegen die Maulkorbpflicht hat sich der Mann zudem über mehrere Instanzen zur Wehr gesetzt. Zuletzt wies das Solothurner Verwaltungsgericht seine Beschwerde ab. Wie dem schriftlichen Urteil zu entnehmen ist, argumentierte der Rentner, er halte seit über 50 Jahren Hunde und sei «ein erfahrener Hundehalter und ein absoluter Tierliebhaber». Sein Hund sei in seinen ersten vier Monaten mit Kindern aufgewachsen, diesen gegenüber freundlich und gemäss einem privat erstellten Gutachten «absolut unproblematisch» und «sehr gehorsam».

Der Hundehalter wehrte sich dagegen, seinem Hund einen Maulkorb anlegen zu müssen. (Symbolbild)

Der Hundehalter wehrte sich dagegen, seinem Hund einen Maulkorb anlegen zu müssen. (Symbolbild)

IMAGO/Maximilian Koch

Gegenüber dem Veterinärdienst gab der Halter nach dem Angriff an, sein Hund habe wohl gemeint, bei dem Kind handle es sich um ein «Bärchen», mit dem man spielen könne. Dies geht aus der Verfügung der Sofortmassnahmen hervor, die 20 Minuten ebenfalls vorliegt.

Aargau drohte schon 2022 mit Maulkorbpflicht

Solche Aussagen sind für H. blanker Hohn. Geht es nach ihr, reicht die Maulkorbpflicht als Massnahme bei weitem nicht aus.

«Den Hund müsste man dem Besitzer entziehen»

Stefanie H.

Es handle sich offensichtlich um ein verhaltensauffälliges Tier, mit dem der pensionierte Halter überfordert sei.

Brisant: Der Kanton Aargau, wo der Mann zuvor wohnhaft gewesen war, hatte diesem bereits im Juni 2022 eine «generelle Maulkorb- und Leinenpflicht» angedroht. Der Grund: In der Phase der provisorischen Halteberechtigung hatte es der Halter verpasst, das Brevet mit dem Listenhund innert gesetzter Frist zu absolvieren. Eine Verfügung wurde nur deshalb nicht erlassen, weil er mit dem Rottweiler-Rüden danach in den Kanton Solothurn zog, wie die Aargauer Kantonstierärztin Barbara Thür auf Anfrage mitteilt.

Der Solothurner Veterinärdienst sah nach Prüfung der Akten vorerst von einer Maulkorbpflicht ab und ordnete stattdessen an, dass der Halter mit dem Hund bis zum 31. März 2023 zehn Lektionen eines Erziehungskurses zu absolvieren habe.

Anfang März bat er um eine Fristverlängerung, die der Veterinärdienst ihm bis zum 31. Mai gewährte. Dies unter anderem aufgrund der Rückmeldung des verantwortlichen Hundetrainers, wonach der Hund «zusammenfassend unproblematisch» sei – auch das geht aus der Verfügung der Sofortmassnahmen hervor. Just während dieses Aufschubs kam es zur Attacke auf Marvin.

Veterinärdienst äussert sich nicht

«Aus diesem Grund geben wir auch dem Veterinärdienst die Schuld daran, dass es so weit gekommen ist», sagt H. «Mit einer Maulkorbpflicht bis zur Absolvierung des Kurses hätte man den Vorfall verhindern können.»

«Wir bedauern sehr, dass es zu diesem schrecklichen Vorfall gekommen ist und ein Kind schwer verletzt wurde», sagt die Solothurner Kantonstierärztin Chantal Ritter zu 20 Minuten. Weil es sich um ein laufendes Verfahren handle – der Halter hat immer noch die Möglichkeit, den Entscheid des Verwaltungsgerichts an das Bundesgericht weiterzuziehen –, könne sich der Veterinärdienst derzeit jedoch nicht zum vorliegenden Fall und den damit verbundenen Massnahmen äussern.

*Name der Redaktion bekannt

**Name geändert

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