Berner Reitschule: Zürcher (23) wird verprügelt und wählt Notruf – doch die Polizei rückt nicht an

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Berner ReitschuleZürcher (23) wird verprügelt und wählt Notruf – doch die Polizei rückt nicht an

Vor der Berner Reitschule wurde ein 23-jähriger Mann zusammengeschlagen – von deren Sicherheitsdienst, wie er sagt. Die Polizei ging nicht vor Ort, da «keine absolute Dringlichkeit» bestanden habe.  

Darum gehts 

Sein erster Ausgang in Bern dürfte F.S.* noch lange in schlechter Erinnerung bleiben. Gemeinsam mit drei Freunden begab sich der 23-Jährige aus Glattfelden ZH am letzten Freitagabend gegen 23 Uhr zur Reitschule. Dort haben sich laut seinen Aussagen die folgenden Szenen abgespielt: Auf dem Vorplatz des Kulturzentrums geriet einer der Kollegen wegen unterschiedlicher politischer Ansichten – er äusserte sich positiv über Donald Trump – in eine verbale Auseinandersetzung mit einer Besucherin. Die Situation eskalierte, als sich die beiden gegenseitig ihre Getränke ins Gesicht schütteten. «Darauf eilten etwa sieben Sicherheitsleute herbei und prügelten auf meinen Freund ein», erzählt der Zürcher. Er sei dazwischengegangen, worauf es ihm und seinen Freunden gelungen sei, sich zu entfernen. 

«Fühlte mich verloren»

Während die Kollegen auf dem Nachhauseweg eine andere Bar wenige Meter entfernt aufsuchten, betrat S. gegen ein Uhr – er räumt ein, zu diesem Zeitpunkt alkoholisiert gewesen zu sein – erneut den Vorplatz. Da er nicht direkt in den vorherigen Streit verwickelt gewesen sei, habe er dies als unbedenklich angesehen. Doch als er beim Töggelikasten gewartet habe, um zu spielen, sei einer der Security-Männer erneut auf ihn aufmerksam geworden und habe ihn aufgefordert, zu verschwinden. Er habe sich jedoch geweigert und einen Grund für die Wegweisung verlangt.

Darauf seien weitere Männer – S. ist sich sicher, dass zumindest ein Teil von ihnen dem Sicherheitspersonal angehörte – aufgetaucht und hätten begonnen, ihn zu schubsen. «Plötzlich traf mich eine Faust mit Schlagring zwischen die Augen», erinnert sich S. Von links und rechts sei nun auf ihn eingedroschen worden. «Sie hörten auch nicht auf, als ich bereits am Boden lag.» Seine Freunde, die ihm wenig später zur Hilfe herbeieilten und unter anderem die Situation fotografisch dokumentieren wollten, seien von den Security-Leuten ebenfalls angegriffen worden. S. verlor für einige Minuten das Bewusstsein. 

Nachdem er gegen 1.40 Uhr mit klaffender Wunde im Gesicht wieder zu sich gekommen war, wählte S. den Polizei-Notruf und schilderte seine Situation. Die Person am Telefon habe ihm jedoch zu verstehen gegeben, man könne nicht an diesen Standort ausrücken. «In diesem Moment fühlte ich mich verloren. Ich spürte das Blut in meinem Mund und auf meinem Gesicht und ich wusste nicht, wie schlimm ich verletzt und was genau passiert war.» Eine Frau aus dem Umfeld der Reitschule, die S. verarztete, habe ihm schliesslich das Handy aus der Hand genommen und den Anruf beendet – mit der Begründung, die Polizei sei an diesem Ort nicht erwünscht. S. begab sich später selbständig in den Notfall. Dort wurde unter anderem eine Platzwunde oberhalb der Nase diagnostiziert.

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«Umgehende medizinische Versorgung nicht nötig»

Die Berner Kantonspolizei bestätigt den Eingang von S.’ Anruf zur besagten Zeit. Der Anrufer sei aufgrund lauter Hintergrundgeräusche jedoch kaum zu verstehen gewesen, weshalb man ihn gebeten habe, an einen ruhigeren Ort zu gehen. «Dieser Aufforderung kam er nur bedingt nach, weshalb sich die Unterhaltung eher schwierig gestaltete», sagt Sprecherin Isabelle Wüthrich. Auf die Frage, ob er schwer verletzt sei und ob man eine Ambulanz vor Ort schicken solle, habe S. angegeben, dass er nicht schwer verletzt sei und bereits durch Drittpersonen verarztet werde. Schliesslich habe sich eine Ersthelferin am Telefon gemeldet und gegenüber dem Einsatzdisponenten angegeben, «dass die Lage unter Kontrolle sei und sie keine Hilfe benötigen» würden, so Wüthrich. Daraufhin sei das Gespräch beendet worden.

Gestützt auf die Lagebeurteilung des Disponenten sei tatsächlich keine Patrouille vor Ort geschickt worden. Zum einen sei «umgehende medizinische Versorgung gemäss Aussagen nicht nötig» gewesen, so Wüthrich. Zum anderen habe es sich bei der geschilderten Auseinandersetzung um ein Antragsdelikt gehandelt. Und zuletzt habe sich der Anrufer auch «nicht kooperativ» gezeigt. 

Polizei geht in solchen Fällen meist vor Ort, ausser …

Bei Fällen wie dem vorliegenden wird laut der Sprecherin üblicherweise eine Patrouille aufgeboten – unabhängig davon, ob es die Reitschule oder eine andere Örtlichkeit betrifft, so Wüthrich weiter. Von dieser Norm werde abgewichen, wenn «keine unmittelbare medizinische Hilfe benötigt» werde. Dies sei etwa der Fall, wenn eine mögliche zeitliche Verzögerung zwischen der Ereignis- und der Meldezeit vorliege, sämtliche Patrouillen bereits ausgelastet seien oder wenn bei der geschilderten Situation keine absolute Dringlichkeit bestehe und die nötigen Massnahmen auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könnten. 

S. hatte nicht den Eindruck, dass sein Gespräch mit dem Disponenten durch laute Geräusche im Hintergrund gestört wurde, wie er sagt: «Der Mitarbeiter hat mich verstanden und geantwortet.» Was er auf die Frage, ob eine Ambulanz vonnöten sei, geantwortet habe, wisse er nicht mehr. «Ich habe aber sicher mehrfach darum gebeten, dass die Polizei vor Ort kommt.»

«Stark alkoholisiert und belästigend gegenüber Frauen»

Die Mediengruppe der Reitschule widerspricht in wesentlichen Punkten der Darstellung von S. Der Leser und seine Freunde seien «sehr stark alkoholisiert und in diesem Zustand gegenüber mindestens einer Frau verbal belästigend gewesen». Deswegen sei es unter Gästen zu einem Gerangel gekommen. Das Sicherheitspersonal der Reitschule habe die Situation «beruhigt», die Gruppe um S. bis zur Brücke begleitet und sie gebeten, an diesem Abend nicht mehr auf den Vorplatz der Reitschule zu kommen.

Was die Auseinandersetzung zwischen S. und dem Sicherheitspersonal betrifft, liegen der Mediengruppe nur Informationen aus dem Nachgang des Vorfalls vor. Ihr sei berichtet worden, der Leser und seine Kollegen seien nach ein Uhr «nochmals und noch stärker alkoholisiert auf den Vorplatz gekommen, hätten sich massiv übergriffig verhalten und sich mit anderen Vorplatzgästen gestritten». Die Situation habe sich dabei als «sehr unübersichtlich» präsentiert. Die Reitschule könne jedoch «mit Sicherheit garantieren», dass S. nicht durch Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen des Sicherheitsdienstes verletzt worden sei: «Bei Vorfällen mit Verletzten kümmert sich unser Sicherheitspersonal in jedem Fall um die verletzte Person und avisiert bei Bedarf die nötigen Blaulichtorganisationen.» Die Medienstelle bestätigt, dass S. durch eine «Person aus dem Reitschule-Umfeld» verarztet wurde.

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