Kulturelle Aneignung?: «Es ist richtig, dass das Konzert abgebrochen wurde»

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Kulturelle Aneignung?«Es ist richtig, dass das Konzert abgebrochen wurde»

In Bern wurde ein Konzert abgebrochen, weil weisse Sänger mit Rastas Reggae-Musik machten. Die Berner Politikerinnen Barbara Keller und Tabea Rai verteidigen den Entscheid.

Darum gehts

Die Diskussion um kulturelle Aneignung ist in der Schweiz angekommen: Am 17. Juli wurde in der Berner Brasserie Lorraine ein Konzert abgebrochen, weil die Bandmitglieder weiss sind, teilweise Dreadlocks tragen und Reggae spielen. 

Das sorgte für Kritik auf Social-Media-Kanälen. Auch die Band fühlte sich vor den Kopf gestossen, wie Bandleader Dominik Plumettaz im Interview mit 20 Minuten sagt.

Die Berner SP-Parlamentarierin Barbara Keller hingegen verteidigt den Entscheid der Veranstalter. «Es ist richtig, dass das Konzert abgebrochen wurde und dass der Vorfall mit einer Diskussionsrunde aufgearbeitet wird.» Wenn Weisse sich kultureller Elemente kolonialer Herkunft bedienten, wie etwa Reggae-Musik, könne das bei PoC (People of Color) ein ungutes Gefühl auslösen und emotionale Reaktionen triggern. Doch es gehe auch um strukturelle Unterdrückung von PoC durch weisse Menschen, «diese Mechanismen wirken überall und ständig». Wenn weisse Personen schwarze Musik darböten, müssten sie mit der Kritik umgehen können, sagt Keller.

Die Frage, ob die Musiker ihre Rastas nun abdecken sollen, beantwortet die Berner Politikerin nicht. Was aber erwartet sie von den Musikern, die Musik von anderen Kulturen spielen? «Natürlich gibt es kein Verbot, sich die Kultur von anderen anzueignen. Doch Weisse müssen sich ihrer Privilegien bewusst sein, die Geschichte kennen und die Umstände hinterfragen.» Problematisch sei es, wenn Weisse mit schwarzer Kultur Geld verdienten und PoC damit verdrängten. «Kulturelle Aneignung heisst, dass eine dominante Kultur sich der Elemente einer Minderheitskultur bedient, weil sie es cool findet oder damit sogar Geld verdient. Dabei sind uns weder die koloniale Geschichte der Sklaverei noch andere Unterdrückungsformen bewusst. Das ist ein massives Problem.»

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Moment, betreibe ich Kulturklau?

Auf Twitter postete Keller ein Schema: «Wait, am I cultural appropriating?», mit dem man selber testen kann, ob man sich des Kulturklaus schuldig macht. Auch bei ihr selber gebe das Schema keine eindeutige Antwort, etwa bei der Musik, die sie gern höre. «Wir alle sind betroffen, nicht nur die Brasserie Lorraine.» Es sei zudem einfach, als weisse, privilegierte Person darüber zu reden. «Auch für mich», sagt Keller. Sie könne das Thema wieder wechseln. Wer als Weisser eine Zöpfchenfrisur trage, könne sie wieder abschneiden.

«Gut, hat das Brasskollektiv erkannt, dass es möglicherweise einen Fehler gemacht hat und dieses Thema genauer anschauen will. In diesem Moment das Konzert abzubrechen, scheint mir eine mögliche Lösung», sagt Tabea Rai, Vertreterin der Alternativen Linken im Berner Stadtparlament. Dass sich die Band und andere Weisse wegen dieses Vorfalls angegriffen fühlen, sei nicht in der Verantwortung der Betroffenen. «Genau diese Abwehrhaltung von vielen weissen und auch linken Menschen verhindert eine richtige Debatte», sagt Tabea Rai.

Es gebe bei diesen Themen keine abschliessenden Antworten. Es gehe um Bewusstsein für die Herkunft einer Kultur und den Umgang damit. «Es wäre vor allem wünschenswert, wenn sich Menschen vermehrt Gedanken machen, was sie übernehmen wollen, warum und wie sie etwas zurückgeben können.» Denn der Kern der Diskussion sei: «Bis heute werden PoC in der westlichen Welt diskriminiert. Diese Menschen erleiden meistens Nachteile, wenn sie ihre Kultur in irgendeiner Form leben. Wenn weisse Menschen das Gleiche tun, gilt es als modisch und innovativ.» Solange dieser Missstand anhalte, so lange werde es Kritik geben.

Tags zuvor hat ein Facebook-Post der Brasserie Lorraine breite Kritik ausgelöst. Auch in den sozialen Medien äusserten sich vor allem jene, die den Entscheid des Brasserie-Kollektivs falsch fanden. So sagte etwa Mitte-Nationalrätin Marianne Binder, sie hätte die Kritiker heimgeschickt, statt das Konzert abzubrechen.

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