Warum auch Wohlhabende am Self-Checkout stehlen

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DetailhandelSie klauen am Self-Checkout trotz 1600 Franken im Portemonnaie

Am Self-Checkout klauen nicht nur einkommensschwache, sondern auch vermögende Leute – teils mit Hunderten Franken in der Tasche. Bei diesen Fällen steht laut einem Verhaltensökonomen nicht das Geld im Vordergrund.

Darum gehts

  • Sicherheitspersonal schützt an Self-Checkout-Kassen vor aggressiven Reaktionen von Kunden, die beim Diebstahl ertappt werden.

  • Dabei klauen auch oft Leute aus den oberen Einkommensschichten.

  • Einige klauen, obwohl sie laut einem Ladendetektiv Hunderte Franken bei sich tragen.

  • Es gehe dabei mehr um Selbstjustiz oder den Kick als ums Geld, erklärt Verhaltensökonom Marcel Stadelmann.

  • Die Konsequenzen werden dabei unterschätzt.

Bei den grossen Detailhändlern steht an den Self-Checkout-Kassen immer öfter Sicherheitspersonal. Wie 20 Minuten berichtete, soll die Massnahme das Personal vor aggressiven Kundinnen und Kunden schützen, die beim Diebstahl erwischt werden. Wie der Ladendetektiv Florim Abazi (48) erzählt, klauen dort alle, vom Obdachlosen bis zum CEO.

«Ich konnte mein Handy gerade nicht abnehmen, ich habe wieder einen Ladendieb überführt», entschuldigt sich Abazi, als ihn 20 Minuten erreicht. 300 Franken in bar habe die Person im Portemonnaie gehabt und trotzdem Schokolade geklaut.

Diebstahl mit vollem Portemonnaie

Solche Fälle häuften sich. 20 Minuten liegen Bilder vor, die zeigen, wie viel Bargeld einige Personen, die beim Detailhändler geklaut haben, zum Tatzeitpunkt im Portemonnaie hatten. So hatte ein Dieb beispielsweise über 3000 Franken in der Tasche, während dieser zwei Stück Fleisch zu stehlen versuchte.

Eine andere Person, die überführt wurde, hatte 1600 Franken bar auf sich und wollte drei Zöpfe und ein weiteres Brot ohne zu bezahlen einstecken.

Viele der Diebe seien gut gebildet und könnten sich gut ausdrücken. «So versuchen sie sich bei der Konfrontation herauszureden.» 90 Prozent der Leute, die am Self-Checkout klauen, würden laut Abazi im Laden selbst nie etwas in der Jackentasche verschwinden lassen. «Bei solchen Diebstählen spielt der finanzielle Aspekt keine grosse Rolle.»

«Letztes Mal verschimmelte Himbeeren, heute Gipfeli ohne zu bezahlen»

Das bestätigt auch der Verhaltensökonom Marcel Stadelmann. «Bei vielen Leuten, die klauen, geht es nicht ums Geld, sondern um Selbstjustiz.» Der sogenannte Kompensationseffekt käme hierbei zum Tragen. «Sie denken sich zum Beispiel: Das letzte Mal waren die Himbeeren, die ich gekauft habe, verschimmelt, also nehme ich mir jetzt ein Gipfeli, ohne es zu bezahlen.» Das sei in der Wahrnehmung der Leute nur gerecht.

Dadurch, dass es sich dabei oftmals um kleine Diebstähle handle, könnten die Leute die Tat vor sich selbst rechtfertigen und müssten ihr Selbstbild als guter Mensch nicht hinterfragen.

Die Self-Checkout-Kassen vereinfachten ein solches Verhalten zusätzlich, sagt Stadelmann. «An der normalen Kasse erhält die geschädigte Partei auf einmal ein Gesicht.» Deshalb werde dort weniger geklaut. Auch wenn die Kassiererin oder der Kassierer nicht direkt von einem Diebstahl betroffen sei, melde sich dort das schlechte Gewissen. Aus diesem Grund werde auch eher bei grossen Detailhandelsketten geklaut als im Dorflädeli.

Hand aufs Herz: Hast du schon einmal am Self-Checkout geklaut?

Robin Hood am Self-Checkout

«Einige Leute wollen niemandem schaden, sie sehen sich eher als eine Art Robin Hood, der von den Grossen nimmt und den Kleinen – also sich selbst – zurückgibt.» Auch dieses Narrativ helfe bei der Rechtfertigung der Tat. Überall eröffneten neue Filialen, man hört, dass CEOs massive Summen summierten und dass die Gewinne jedes Jahr grösser werden. «Der Diebstahl zählt für einige schon fast als antikapitalistisches Statement.»

«Die Gefahr, erwischt zu werden, wird am Self-Checkout als deutlich geringer eingeschätzt.»

Verhaltensökonom Marcel Stadelmann

Es gebe aber auch Menschen mit krimineller Energie, die ganz bewusst für den Kick klauten. Auch bei ihnen seien die Self-Checkout-Kassen beliebt. «Hier geht es um die Risikoabschätzung. Die Gefahr, erwischt zu werden, wird am Self-Checkout als deutlich geringer eingeschätzt.»

Busse, Hausverbot oder Anzeige

Wenn die Diebe jedoch erwischt werden, hätten sie fast alle dieselbe Ausrede auf Lager, sagt Ladendetektiv Abazi: «Oh, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich das Produkt nicht gescannt habe.» Oftmals sei das gelogen. «Ich habe sie lange genug beobachtet, um zu wissen, dass die Handlung bewusst geschehen ist. Sonst würde ich gar nicht einschreiten.»

Über die Konsequenzen machten sich hingegen viele Ladendiebe keine Gedanken. «Am Ende kann auch ein Diebstahl mit Warenwert unter 300 Franken mit einer Busse oder mit Hausverbot geahndet – oder sogar zur Anzeige gebracht werden.»

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