Schweizer sollen wegen Corona-Risiko abnehmen

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Übergewichtige stärker gefährdetSchweizer sollen wegen Corona-Risiko abnehmen

Corona ist für übergewichtige Personen gefährlicher als für Normalgewichtige. Das Problem solle deshalb stärker bekämpft werden, fordern Verbände. Gesetzliche Regulierungen sind aber umstritten.

Darum gehts

  • Eine Ansteckung mit dem Coronavirus ist für stark übergewichtige Personen gefährlicher als für Normalgewichtige.
  • In Grossbritannien lanciert Premierminister Johnson deshalb eine Kampagne gegen Übergewicht und Fettleibigkeit.
  • Auch in der Schweiz müsste diesen Problemen mehr Beachtung geschenkt werden, finden verschiedene Verbände.
  • Der Ruf nach mehr Regulierung durch den Staat stösst aber auch auf Widerstand.

Menschen, die stark übergewichtig sind und sich mit dem Coronavirus infizieren, haben ein höheres Risiko, dass die Krankheit einen schweren Verlauf nimmt und im Spital behandelt werden muss (siehe Box). Das BAG stuft deshalb Personen mit einem BMI von über 40 (Adipositas Stufe III) als «besonders gefährdet für schwere Verläufe bei Covid-19» ein.

Laut BAG-Mediensprecher Jonas Montani sind Personen mit einem BMI von über 30 bei den wegen Corona hospitalisierten Personen überrepräsentiert: «Der Anteil der Patienten mit Adipositas bei den Hospitalisationen ist höher als der Anteil der adipösen Personen in der Bevölkerung.» Diese Personen scheinen laut Montani zudem ein erhöhtes Risiko für eine Aufnahme in der Intensivstation zu haben.

Jeder Brite soll 2 Kilo abnehmen

Der britische Premierminister Boris Johnson hat die erhöhte Corona-Gefahr für Übergewichtige erkannt: Grossbritannien hat am Montag eine Kampagne lanciert, um Übergewicht und Fettleibigkeit in der Bevölkerung entgegenzuwirken. So sollen Werbung für besonders ungesunde Lebensmittel im Fernsehen vor 21 Uhr und 2-für-1-Deals für Junkfood verboten werden. Auch alle leicht Übergewichtigen sollen nach dem Willen der Regierung zwei Kilo abnehmen.

Auch verschiedene Schweizer Gesundheitsverbände rufen zu gesunder Ernährung und ausreichend Sport auf. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie intensivieren sie ihre Bemühungen um Aufklärung: «Die Gefährlichkeit von Corona im Zusammenhang mit Fettleibigkeit zeigt auf, dass wir unser Engagement in diesem Bereich dringend verstärken müssen», sagt Heinrich von Grünigen, Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung.

«Gesunde Bevölkerung bewältigt Pandemie besser»

Mit einer effizienten Bekämpfung von Fettleibigkeit steigt laut von Grünigen die Gesundheit der Bevölkerung, Spitaleinlieferungen wegen Folgekrankheiten der Fettleibigkeit werden seltener. «Dadurch kann das Gesundheitssystem entlastet werden, was gerade auch im Hinblick auf eine zweite Welle mit vielen Corona-Erkrankungen von Vorteil wäre.» Eine gesunde Bevölkerung hat laut von Grünigen insgesamt weniger Probleme mit der Bewältigung einer Pandemie.

Konkret schweben von Grünigen deshalb mehr Subventionen für Gemüse und ein Werbeverbot für besonders zucker- oder fetthaltige Speisen für Kinder vor. Das fordert auch Ursula Zybach, Präsidentin des Fachverbands Public Health Schweiz: «Werbung für ungesunde Produkte wie Kinder Bueno ist eine gesundheitspolitische Katastrophe.»

«Politik ist in der Pflicht»

«Letztendlich entscheidet jeder selber, wie er sich ernähren will», sagt Zybach. Aber: «Diese Entscheidung wird davon beeinflusst, welche Produkte beworben werden.» Die Politik sei in der Pflicht, Industrie und Werbung entsprechend zu regulieren. Zybach zieht den Vergleich mit der Maskenpflicht heran: «Solange es freiwillig war, im ÖV eine Maske zu tragen, hat das kaum jemand getan. Erst seit der Maskenpflicht halten sich fast alle daran und schützen so die Gesundheit der Bevölkerung.»

Für Gregor Rutz, SVP-Nationalrat und Präsident der IG Freiheit, hinkt dieser Vergleich: «Bei Covid-19 geht es um eine gefährliche Krankheit, die eine Pflicht rechtfertigt.» Übergewicht und Fettleibigkeit seien aber Folgen eines bewusst gewählten Lebensstils und Konsumverhaltens. «Das lässt sich nicht regulieren», ist Rutz überzeugt.

«Verbote sind der falsche Weg»

Nicht von der Hand zu weisen ist laut Rutz, dass in Ländern mit mehr Übergewichtigen die Sterblichkeit infolge der aktuellen Corona-Pandemie höher sei. «Es ist klar, dass ein gesundes Volk mit einer solchen Pandemie besser klarkommt.» Die Frage sei aber, welche Rolle hierbei dem Staat zukomme.

Rutz betont: «Dass es Fachstellen gibt, die über gesunde Ernährung und die Wichtigkeit von ausreichend Bewegung informieren, ist richtig und wichtig.» Werbeverbote und Lenkungsabgaben wären für Rutz aber der falsche Weg: «Der Staat kann die Menschen nicht zwingen, sich gesund zu ernähren. Und solange man ein Produkt legal kaufen kann, muss man es auch legal bewerben können.»

Ob das BAG die Risiken im Zusammenhang mit dem Coronavirus und Fettleibigkeit als Anlass nimmt, verstärkt in Prävention und Aufklärung zu investieren, lässt Pressesprecher Montani offen. Er sagt: «Im Rahmen der nationalen Strategie zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten setzen der Bund, die Kantone und die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz verschiedene Massnahmen zur Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten um. Dazu gehören auch Massnahmen, die der Entstehung von Adipositas entgegenwirken oder den Umgang mit dieser Krankheit erleichtern.»

Corona und Übergewicht

In einer noch nicht publizierten Studie kommen Forscher der New York University zu dem Schluss, dass Fettleibigkeit ein grosses Risiko für schwere Verläufe darstellt. «Für einen Spitalaufenthalt ist sie ausschlaggebender als Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankungen», so Hauptautorin Leora Horwitz in einer Mitteilung.

Laut einer zweiten Studie von Mitarbeitern der New Yorker Universität war bei jungen Covid-19-Patienten mit einem BMI über 30 doppelt so oft eine Behandlung auf der Intensivstation nötig als bei Patienten mit einem niedrigeren BMI. Lag der BMI über 35, mussten die Betroffenen 3,6-mal so oft intensiv behandelt werden.

Im Fachjournal «Obesity» berichten Forscher des Unispitals von Lille, dass von 124 untersuchten Patienten mit schwerem Verlauf 85 künstliche Beatmung benötigten. Unter diesen hatten 56 Prozent einen BMI über 30, 38 Prozent sogar einen über 35. Bei den nicht beatmeten Patienten war der Anteil mit 12,8 deutlich niedriger.

In China haben YD Peng und sein Team die Daten von 112 Covid-Patienten ausgewertet, die zwischen dem 20. Januar und dem 15. Februar 2020 ins Union Hospital in Wuhan eingeliefert worden waren. Von den Patienten, die die Infektion nicht überlebten, hatten 88,2 Prozent einen BMI von mehr als 25. Bei den Überlebenden lag der Anteil der Übergewichtigen dagegen nur bei 18,9 Prozent.

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