Masken boomen in Japan wie nie zuvor

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Riesige VielfaltMasken boomen in Japan wie nie zuvor

Der Mundschutz ist in Japan allgegenwärtig. Egal, ob es Pollen oder Grippeviren abzuwenden gilt – die Inselbewohner greifen zur Maske. Neuerdings sogar, um dem Feinstaub aus China zu entgehen.

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Japan ist das Land der Masken. Auf den Trottoirs sieht man sie und in den U-Bahnen: einfache Mundschütze, High-Tech-Modelle, parfümierte Masken, Exemplare in Pink und Purpur. Die Marktforscher vom Yano Research Institute beziffern die Grösse des Markts auf 26 Milliarden Yen (211 Millionen Euro) jährlich. Branchenführer Kowa will dieses Jahr die Produktion vervierfachen.

«Mittlerweile scheint die Hälfte der Leute draussen Mundschutz zu tragen», sagt Geschäftsmann Masahiko Haneda. Sein Vorgesetzter hat ihm nachdrücklich empfohlen, bei jeder Erkältung mit Maske im Büro zu erscheinen. Hauptgrund für die Massnahme ist jedoch Heuschnupfen. Japans Pollenbelastung ist aktuell fünf Mal so hoch wie im vergangenen Frühjahr. Das liegt zum einen am heissen Sommer 2012 und zum anderen an einem plötzlichen Temperaturanstieg, der dazu führte, dass Sicheltannen und Hinoki-Scheinzypressen, die Hauptverursacher von Heuschnupfen in Japan, ihre Pollen kürzlich auf einen Schlag freisetzten.

Angst vor Feinstaub

«Dieses Jahr ist es wirklich schlimm mit den Pollen», sagt Takeshi Nunomura. Er huste die ganze Nacht durch und könne nicht schlafen, wenn er tagsüber keine Maske trage, sagt er. Ein weiterer Grund für die hohe Nachfrage sind Keime. Erkälten sich Japaner, tragen sie häufig Masken, damit sie in den vollgepackten Zügen und im Büro ihre Mitmenschen nicht anhusten oder anniesen. Und Japaner, die nicht erkältet sind, tragen Masken, um die Keime der anderen nicht einzuatmen.

Für zusätzliche Unruhe sorgt das Thema Feinststaub, Partikel von weniger als 2,5 Mikrometern Grösse, die tief in die Lunge eindringen können. Das Umweltministerium sagt, die Werte seien auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr, aber die Medien berichten ausführlich über die Bedrohung und weisen darauf hin, dass ein Grossteil der Verschmutzung aus China stammt. Auch dies kurbelt den Absatz von Masken an. «Es heisst, viele dieser Masken können die kleinen Partikel nicht blockieren, aber ich fühle mich mit Maske besser», sagt Saori Takeuchi, die in Tokio mit ihrem ebenfalls mit Mundschutz versehenen neunjährigen Sohn spazieren geht.

In Drogerien werden an prominenter Stelle Dutzende unterschiedliche Masken zur Schau gestellt. Viele Hersteller werben damit, 99 Prozent aller Pollen, Keime und Staubpartikel auszufiltern. Beim Hersteller Iris Ohyama heisst es, der Umsatz liege doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr.

Schwieriger zu finden und mit drei bis vier Euro das Stück auch deutlich teurer als die herkömmlichen Modelle sind die sogenannten N95-Masken, die speziell dafür ausgelegt sind, Feinststaub abzuhalten. Aber die Hersteller arbeiten mit Hochdruck daran, das Angebot auszuweiten und die Kosten zu senken.

Billig und sicher

Der Vielfalt sind kaum Grenzen gesetzt. Manche Masken liegen eng an der Nase an, damit die Brillengläser nicht beschlagen, andere können direkt auf die Wangen geklebt werden. Iris Ohyama bietet zudem Mundschutz an, der nach Pfefferminz riecht, nach Rose-Menthol, Grapefruit oder Limette-Orange.

Von Heuschnupfen Geplagte können sich aber auch einen kleinen, mit Netz versehenen Pfropfen in die Nase schieben. Es gibt Cremes und Sprays, ein Unternehmen verkauft auch ein kleines Säckchen voller Chemikalien, das um den Hals getragen den Träger vor Pollen schützen soll.

Die Beliebtheit der Atemmasken in Japan erkläre sich auch dadurch, dass sie günstig seien, auf einfachem Weg Pollen von den Atemwegen fernhalten und vor allergischen Reaktionen schützen, sagt Allergiespezialist Shigeharu Fujieda von der Universität Fukui: «Für diesen Zweck sind Masken sehr effektiv. Es ist ein billiger und sicherer Weg, der vielen Japanern zu liegen scheint.» Litt vor 30 Jahren noch ein Zehntel der Japaner an Heuschnupfen, ist mittlerweile jeder Dritte betroffen. Der Grund dafür ist unklar. Zwar hat die Zahl der Sicheltannen zugenommen, aber Experten vermuten auch in der veränderten Ernährung eine Ursache. Früher hätten Kinder erst ab elf, zwölf Jahren Symptome entwickelt, heute könnten schon Fünfjährige an Heuschnupfen leiden, sagt Fujieda.

Heuschnupfen-Experte Norio Sahashi sagt, bei der Pollenproduktion scheine sich die globale Erwärmung bemerkbar zu machen, denn die Bäume würden nach mehreren heissen Sommern mehr Pollen produzieren. Masken sind inzwischen ein fester Bestandteil des japanischen Alltagslebens geworden. Seit 20 Jahren trägt Yoshifumi Yamamoto in den ersten vier Monaten des Jahres zum Schutz vor Pollen und Grippekeimen eine Maske. Trifft er einen Kunden zum ersten Mal, nimmt er sie ab, ansonsten behält der Fahrstuhlverkäufer sie auf. «Die Kunden scheint das nicht zu stören», so Yamamoto. «Jeder weiss, es ist Heuschnupfenzeit.» (jcg/sda)

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