Schweiz: Russische Spionen nutzen Genf als wichtige Basis

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GRU 29155«Russisches Killerkommando nutzt Genf als wichtige Basis»

Eine Untereinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU plant offenbar Anschläge im Ausland, sei es mit elektromagnetischen Wellen oder Gift. Für sie wichtig: die Schweiz und der Raum Genf.

Darum gehts

  • Die Schweiz ist schon lange ein Paradies für ausländische Spione.

  • Der Ukraine-Krieg hat nun erst recht dazu beigetragen.

  • Recherchen eines Netzwerks haben ergeben: Eine Untereinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU steht wohl hinter dem sogenannten Havanna-Syndrom.

  • Damit wird das zentrale Nervensystem von Zielpersonen mit elektromagnetischer Energie oder Mikrowellen angegriffen.

  • Die russische Spezialeinheit 29155 bereitet derlei Attacken offenbar aus der Schweiz vor.

  • Sie besteht nicht aus den «klassischen» Spionen, sondern ist eher ein Killerkommando des Kremls im Ausland.

Hinter dem «Havanna-Syndrom» steckt offenbar das Killerkommando 29155 des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Das hat ein internationales Recherchenetzwerk herausgefunden.

Die Spezialeinheit 29155 soll mit elektromagnetischer Energie oder Mikrowellen das zentrale Nervensystem ihrer Zielpersonen angegriffen und so teils dauerhafte Schäden angerichtet haben. Teil der Vorbereitungen für solche Operationen liefen über die Schweiz – und betrafen nicht nur elektromagnetische Angriffe.

«Wir erinnern uns, als der ehemalige Doppelagent Sergej Skripal mit seiner Tochter im englischen Salisbury vergiftet wurde. Ein Teil dieses Einsatzes dürfte von GRU 29155 ebenfalls im Raum Genf vorbereitet worden sein», sagt Adrian Hänni vom Forschungszentrum Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS).

«GRU 29155 nutzt Genf als Operationsbasis»

«Die Leute von 29155 sind keine klassischen Agenten à la John le Carré, sondern waren zuvor meistens in einer Spezialeinheit des Militärs tätig», sagt Hänni.

«Die Leute von 29155 sind keine klassischen Agenten à la John le Carré, sondern waren zuvor meistens in einer Spezialeinheit des Militärs tätig», sagt Hänni.

AFP

Seit dem Angriff auf die Ukraine und den damit zusammenhängenden Ausweisungen aus EU-Ländern sei die Schweiz erst recht zum Spionen-Paradies aufgestiegen: «GRU 29155 nutzt Genf mittlerweile als wichtige Operationsbasis», so Hänni.

Dabei sei die Untereinheit des russischen Militärgeheimdienstes vor allem auf Sabotage und Mordanschläge im Ausland spezialisiert. «Ihre Mitglieder mögen mit Diplomatenpässen in die Schweiz kommen. Doch gerade die Leute von 29155 sind keine klassischen Agenten à la John le Carré, sondern waren zuvor meistens in einer Spezialeinheit des Militärs tätig», sagt Hänni.

Egor Gordienko, der Agent am Genfer Marathon

Einer Gesichtserkennungssoftware des Investigativportals Bellingcat zufolge zeigen diese Bilder zweimal den selben Mann, den russischen Spion Egor Gordienko.

Einer Gesichtserkennungssoftware des Investigativportals Bellingcat zufolge zeigen diese Bilder zweimal den selben Mann, den russischen Spion Egor Gordienko.

Bellingcat

Die UN-Mission in Genf war schon lange ein wichtiger Ort für die Killereinheit. Das zeigt sich gut anhand von Egor Gordienko, einem Schlüsselmann der Untereinheit 29155. «Gordienko war seit 2017 in Genf, wo er, getarnt als Diplomat, bei der Welthandelsorganisation bis 2020 akkreditiert war. Verschiedene Anschläge, sei es in Bulgarien, Deutschland oder in England, sollen auf sein Konto gehen», sagt Hänni.

Doch Gordienko konnte unbehelligt immer wieder in die Schweiz zurückkehren, wo er sich offenbar so wohlfühlte, dass er mindestens einmal am Genfer Marathon teilnahm. Als die Inverstigativgruppe Bellingcat dann den Attentätern des Giftanschlags von Salisbury auf die Spur kam, verliess Gordienko die Schweiz fluchtartig. Heute ist Hänni zufolge unklar, wo sich der Russe aufhält.

Schweiz jetzt noch wichtiger für Russlands Spione

Die Schweiz hat sich nicht erst seit gestern als «Spy Hub» mitten in Europa etabliert. Allerdings habe der Ukraine-Krieg den Standort Schweiz noch stärker ins Zentrum gerückt: «Russland ist in Genf sehr, sehr aktiv», sagt Hänni.

Ermöglicht werde dies durch die «tolerierende Umgebung», welche die Schweiz den ausländischen Spionen biete, sagt Hänni. «Die meisten EU-Staaten haben zahlreiche russische Botschaftsmitarbeiter, die sie der Spionage verdächtigen, nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 des Landes verwiesen – weltweit wurden etwa 700 solche Schlüsselfiguren vor die Türe gestellt, was eine massive Reduktion der russischen Agententätigkeit nach sich zog.»

Kaum Landesverweise

Die UNO-Mission in Genf ist eine Schaltstelle der multilateralen Diplomatie – und zieht Spione aus aller Welt an.

Die UNO-Mission in Genf ist eine Schaltstelle der multilateralen Diplomatie – und zieht Spione aus aller Welt an.

EDA/Violaine Martin

Vor diesem Hintergrund warnte der Schweizer Nachrichtendienst bereits 2022 in seinem Sicherheitsbericht: Die vielen Ausweisungen dürften «die russischen Nachrichtendienste unter anderem dazu bewegen, ihre Kräfte in anderen Staaten einzusetzen. Dazu könnte auch die Schweiz gehören, weshalb die verfügbaren Instrumente, um eine Einreise dieser Nachrichtendienstoffiziere zu verhindern, ausgeschöpft werden müssen.»

Doch Fehlanzeige: Obgleich sich die Ausweichbewegung russischer Spione in die Schweiz deutlich abzeichnete, scheint Bern weitgehend untätig geblieben zu sein. «Sollte es zu Landesverweisen gekommen sein, dann höchstens im einstelligen Bereich – und überaus diskret», sagt Hänni. Denn das Ausweisen von ausländischen Diplomaten, selbst wenn es getarnte Spione sind, sei eine politische Gratwanderung für ein Land, das seinen weltweiten Ruf als neutrale Vermittlerin nicht gefährden will.

«Eine Kurskorrektur wäre nötig»

«Ganz generell wissen ausländische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter, dass sie in der Schweiz nicht oft ausgewiesen werden, dass sie sich hier weniger gut tarnen müssen und eine grössere Spielbreite haben als anderswo», sagt Hänni. Dabei sei der Raum Genf nicht zwangsläufig auch der Ort, wo direkt spioniert werde: «Genf und Umgebung sind oftmals ein Rückzugsort für Agenten. Hier bereitet man sich auf Operationen vor oder kehrt von solchen zurück.»

Hänni selbst findet es an der Zeit, dass die Schweiz eine Kurskorrektur vornimmt. «Bei allem Verständnis, dass Landesverweise von verdächtigen Diplomaten politisch ein heisses Eisen sind – dass russische Geheimdienstmitarbeiter sich aus der Schweiz heraus für Anschläge und Operationen vorbereiten können, wirft nicht nur sicherheitspolitische Fragen auf.»

Die Schweiz müsse sich auch gefallen lassen, dass andere Länder ihr fehlende Solidarität vorwerfen. Ausserdem: «Die hohe Dichte an russischen Spionen hier ist auch ein Risiko für Regimegegner. Die Schweiz als Zufluchtsort hat Verantwortung für diese Personen und ihre Sicherheit.»

«In der Schweiz leben etwa 70 russische Vollzeit-Spione»

In der Schweiz sind sogenannte legale und illegale Spione tätig. Erstere gehören zum akkreditierten Botschaftspersonal eines Landes und reisen unter ihrem echten Namen und mit einem diplomatischen Ausweis umher. «Wir gehen davon aus, dass etwa 70 solche Vollzeit-Spione in der Schweiz leben», sagt Adrian Hänni vom ACIPSS.

Unter «illegalen Spionen» verstehen Geheimdienstexperten dagegen Personen, die in Russland mit einer neuen Identität ausgestattet wurden und mit falschen Namen und Papieren nach Westeuropa geschleust werden, um von dort Operationen zu leiten oder Agenten zu führen.

In der Schweiz sind sogenannte legale und illegale Spione tätig. Erstere gehören zum akkreditierten Botschaftspersonal eines Landes und reisen unter ihrem echten Namen und mit einem diplomatischen Ausweis umher. «Wir gehen davon aus, dass etwa 70 solche Vollzeit-Spione in der Schweiz leben», sagt Adrian Hänni vom ACIPSS.

«Ein einstelliger Bereich»

Wie viele Personen dieser Agentengattung sich in der Schweiz aufhalten, könne nur sehr grob geschätzt werden, sagt Hänni. «Ich tippe auf einen einstelligen Bereich. Ausserdem gibt es in dieser Gruppe auch starke Fluktuationen, weil diese Personen oft für einen spezifischen Auftrag und quasi nur temporär einreisen.»

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