EU-Botschafter: «Die Schweiz kann nicht den Fünfer und das Weggli haben»

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EU-Botschafter «Die Schweiz kann nicht den Fünfer und das Weggli haben»

Für EU-Botschafter Petros Mavromichalis hat die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU gelitten. Er zeigt sich offen für neue Verhandlungen, stellt aber Bedingungen.

Darum gehts

  • Die EU zeigt sich offen für neue Gespräche mit der Schweiz. 

  • Petros Mavromichalis, Botschafter der EU in der Schweiz, beteuert, dass die EU keinen Kleinkrieg gegen die Schweiz führe – trotz Rauswurf beim Forschungsprogramm Horizon. 

  • Den bilateralen Weg in seiner jetzigen Form wolle die EU aber nicht mehr, sagt er.

Herr Botschafter, Sie sind schon zwei Jahre in der Schweiz. Sind Sie schon integriert? 

Ich fühle mich völlig zuhause hier in der Schweiz. Es ist ein freundliches, europäisches Land. Ich spreche drei der Landessprachen und habe Familie und Freunde hier.

Vor gut einem Jahr ist das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU gescheitert. Ist der Ärger in Brüssel inzwischen verraucht? 

Ich würde nicht von Ärger sprechen. Aber von Unverständnis. Es war unser grösstes und wichtigstes gemeinsames Projekt. Diejenigen, die gesagt haben, es bleibe alles beim Alten, haben entweder nichts verstanden oder nicht verstehen wollen. In der Realität erodierte unsere Beziehung im letzten Jahr.

20min/Matthias Spicher, Michael Scherrer

«Wir werden immer Nachbarn und Freunde bleiben»

Petros Mavromichalis, EU-Botschafter

Wer ist schuld daran? Hätte die EU noch einen Schritt auf die Schweiz zugehen sollen? 

Die EU hat ihre Tür offen gehalten. Wir haben viele Zugeständnisse an die Schweiz gemacht. Wir werden immer Nachbarn und Freunde bleiben. Deshalb ist es wichtig, dass wir geregelte Beziehungen haben.

Erst die Schikane mit der Börsenäquivalenz, dann der Rausschmiss aus dem Forschungsprogramm: Führt die EU einen Kleinkrieg gegen die Schweiz? 

Nein, es sind auch keine Nadelstiche. Es ist unsere Politik, die einstimmig von unseren Mitgliedstaaten beschlossen wurde und die seit langem bekannt ist: Die EU wird dann wieder in den bilateralen Weg mit der Schweiz investieren, wenn es eine klare Perspektive für die Lösung der institutionellen Fragen gibt. Wir wollen kein Rosinenpicken mehr: einerseits volle Teilnahme bei der Forschung, aber selektive Einhaltung der Regeln bei der Personenfreizügigkeit. Wir wollen eine Gesamtbeziehung, ein Paket.

«Wir wollen kein Rosinenpicken mehr»

Petros Mavromichalis, EU-Botschafter

20min/Matthias Spicher, Michael Scherrer

Sie sagen, der bilaterale Weg sei kein Königsweg. Wieso kann die Schweiz nicht ein souveränes Land bleiben, das im Herzen von Europa beste Handelsbeziehungen zur EU unterhält? 

Die bilateralen Verträge waren immer etwas Vorläufiges. Die Schweiz hatte ja damals ein Beitrittsgesuch gestellt. Die Schweiz ist anscheinend glücklich mit dem bilateralen Weg. Wir wollen ihn aber in der bisherigen Form nicht mehr. Die Schweiz kann nicht am EU-Binnenmarkt teilnehmen und die Regeln nur selektiv respektieren. Wir können auch wie Grossbritannien zu reinem Freihandel zurückgehen. Das ist dann aber kein direkter Zugang zum Binnenmarkt mehr. Die Schweiz muss sich entscheiden, was sie will. 

Sie können einfach keine Spezialregel zulassen, weil sie nach dem Brexit unter Druck sind. 

Begrenzte Ausnahmen sind möglich, aber sie müssen Ausnahmen bleiben. Man kann nicht einem Drittstaat wie der Schweiz bessere Bedingungen geben als den eigenen Mitgliedstaaten.

Die Türkei darf beim Forschungsprogramm Horizon voll mitmachen, obwohl sie ein Drittland ist. Geschäften sie lieber mit Autokraten wie Erdogan als mit der Schweiz? 

Wir wünschen uns, dass die Schweiz bald voll assoziiert ist in unseren Programmen. Das muss aber im Rahmen einer globalen Lösung passieren. Im Übrigen sind unsere Regeln klar: Die Türkei ist Beitrittskandidatin, die Schweiz nicht. Dass die Schweiz bei jedem neuen Programm ein Abkommen verhandeln muss, hat sie sich selber so ausgesucht. Die Schweiz kann nicht den Fünfer und das Weggli haben.

«Jetzt versuchen wir ja, neue Gespräche für ein Vertragspaket aufzugleisen»

Petros Mavromichalis, EU-Botschafter

Wenn die Schweiz ihr Beitrittsgesuch wieder aktivieren würde, dürfte sie also wieder mitmachen? 

Unsere Regeln sind klar: Beitrittskandidaten, EWR-Mitglieder und Staaten, die an der EU-Nachbarschaftspolitik teilnehmen, sind automatisch zu den EU-Programmen zugelassen. Bei den anderen Drittstaaten wie der Schweiz bedarf es eines speziellen Abkommens.

Angesichts des Krieges: Müssten die Schweiz und die EU in dieser Situation den Streit nicht begraben und etwa ein Stromabkommen abschliessen, das beiden Seiten hilft? 

Sicher müsste man das. Die Verhandlungen für ein Stromabkommen haben vor 15 Jahren begonnen. Nur braucht es für eine Teilnahme am EU-Strommarkt die Lösung der institutionellen Fragen. Jetzt versuchen wir ja, neue Gespräche für ein Vertragspaket aufzugleisen.

Ein geheimes Dokument aus dem Bundesrat, das SRF vorliegt, spricht von Konzessionen der EU beim Lohnschutz. Herrscht Tauwetter zwischen Bern und Brüssel?
Die EU hat immer Bereitschaft gezeigt, gemeinsam auf eine Lösung der Probleme hinzuarbeiten. Daran hat sich nichts geändert.

Lese morgen den zweiten Teil des Interviews mit dem EU-Botschafter. Thema: Putins Invasion in der Ukraine und die Folgen für Europa. 

Europa Forum diskutiert über Verhältnis Schweiz-EU

EU-Botschafter Petros Mavromichalis ist Mitglied des Lenkungsausschusses des Europa Forums. Dieses ist eine politisch neutrale Dialogplattform, die sich für eine zukunftsfähige Schweiz und Europa sowie geregelte Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU einsetzt. Wie es um das Verhältnis Schweiz-EU zu Zeiten des Krieges bestellt ist, diskutiert das Forum an seinem Annual Meeting am 23. und 24. November in Luzern, wo unter anderem Bundesrätin Simonetta Sommaruga auftritt. Präsidiert wird das Europa Forum von Marcel Stalder, Group CEO bei Chain IQ. Dem Lenkungsausschuss sitzen alt Bundesrätin Doris Leuthard und der ehemalige deutsche Vize-Kanzler Sigmar Gabriel vor. 

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