Wer nicht gendert, kriegt schlechtere Noten - Beim Gendern ist die HSG die strengste Uni der Schweiz

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Wer nicht gendert, kriegt schlechtere NotenBeim Gendern ist die HSG die strengste Uni der Schweiz

Einem deutschen Studenten wurden Punkte abgezogen, weil er ausschliesslich in der männlichen Form schrieb. Auch an Schweizer Hochschulen gibt es Vorschriften für genderneutrale Sprache.

Darum gehts

  • An der Uni Kassel gab es Punkteabzug für einen Studenten, der keine gendergerechte Sprache verwendet hatte.

  • Er fand, das sei eine politische Entscheidung und wehrte sich.

  • Auch in der Schweiz legen viele Hochschulen Wert auf geschlechtsneutrale Formulierungen.

  • Die Hochschule St. Gallen hat das strengste Regime.

Der deutsche Student Lukas Honemann will Lehrer werden. Deshalb absolviert er an der Universität Kassel das Lehramt. Mit seiner Kritik, er habe im Studium Punktabzug bekommen, weil er in einer Übung nicht korrekt gegendert hatte, sorgte er für grosses Aufsehen. Laut der «Hessenschau» mussten die Studierenden ihre Sprachsensibilität üben – bei drei Aufgaben war die gendergerechte Sprache das Thema.

Honemann bekam Punktabzug, weil er in den ersten drei Aufgaben nicht genderte. Bestanden hat er trotzdem. Der Fall sorgte dennoch in ganz Deutschland für Empörung.

Sprachgebrauch wird geprüft

Auch an der Hochschule St. Gallen wird gendergerechter Sprachgebrauch geprüft. Christa Binswanger, Titularprofessorin Gender und Diversity an der Hochschule St. Gallen, bezeichnet die Verwendung diskriminierungsfreier Sprache zunehmend als Selbstverständlichkeit. «Dozierenden steht es frei, gendergerechten und inklusiven Sprachgebrauch zu prüfen. In einem solchen Fall gehört dieser Gebrauch zum abzuprüfenden Fachgebiet», so Binswanger. Das Thema gendergerechte Sprache wurde an der HSG schon einmal ausführlich diskutiert, als es um eine allfällige Umbenennung der «Studentenschaft» ging (siehe unten).

Die HSG hat damit das schärfste Gender-Regime der Schweizer Hochschulen. Weitere angefragte Universitäten verweisen auf ihr Angebot zur geschlechtergerechten Sprache, das etwa in Kursen oder Leitfäden vermittelt wird. Die Universität Bern schreibt, es liege keine «vereinheitlichte Sprachregelung» vor. Sprachgebrauch werde nicht sanktioniert. «Es gibt keine Bewertung durch Dozierende und auch keinen Notenabzug. Dies wäre weder im Sinn der Universität, noch bestünden dafür rechtliche Grundlagen», sagt Mediensprecherin Nathalie Matter.

Auch beim Studiengang Gender Studies gibt es keine Strafen. Hier enthalten die Empfehlungen Hinweise darauf, dass es in den Gender Studies üblich sei, Geschlechtervielfalt sichtbar zu machen: «Verwenden Sie in Kontexten, in denen Sie die Geschlechtervielfalt sichtbar machen wollen, den Gender_Gap oder das Gender-Sternchen respektive eine dritte Benennungsmöglichkeit neben ‹Frau› und ‹Mann›. Dies gilt vor allem für wissenschaftliche Texte im Bereich der Gender-, Queer-, oder Transgender Studies.» Auch an der ETH Zürich verzichtet man auf eine Bestrafung, wenn Studierende nicht korrekt gendern. Man halte sich an den Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren der Bundeskanzlei.

«Das sind Diskriminierungen, die wirklich weh tun»

Dass Unis Studierenden, die nicht korrekt gendern, Punkte abziehen, begrüsst SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Dass Dozierende vermehrt auch die Sprache in die Bewertung von Arbeiten einfliessen lassen, sei zu hoffen. Den Kritikerinnen und Kritikern sagt sie: «Mich regt diese Weinerlichkeit auf. ‘Oh nein, ich muss gendergerecht schreiben!’ Wenn jemand Abzug erhält, weil er oder sie sich nicht an die Richtlinien der Uni hält, so what?», findet Funiciello.

Speziell in den Naturwissenschaften solle vermehrt darauf geachtet werden, alle Geschlechter anzusprechen. Dass in der Disziplin eben nicht alle mitgemeint werden, zeige sich an folgenden Beispielen: «Symptome von Herzinfarkten sind je nach Geschlecht unterschiedlich - das wusste man lange nicht. Es führte zu unnötigen Todesfällen, weil weibliche Symptome ignoriert wurden. Bei Unfall-Simulationen wurden lange nur männliche Dummies verwendet, was zu schwereren Verletzungen bei Fahrerinnen führte. Das sind Diskriminierungen, die wirklich weh tun.» Sprache mache sichtbar und müsse deshalb – nicht nur in den Gender-Studies-Seminaren – richtig verwendet werden, so Funiciello.

«Peinlicher Gugus»

SVP-Bildungspolitikerin Nadja Umbricht Pieren bezeichnet die Gender-Leitfäden der Unis hingegen als «peinlichen Gugus.» Dass jetzt sogar noch gegenderte Sprache als Bewertungskriterium verwendet werde, dafür hat sie kein Verständnis: «Wenn sich jemand diskriminiert fühlt, dann ist das deren Problem. Nicht das der Gesellschaft.» Auch dass Studierende «harter Fächer» wie Naturwissenschaftler sich das Gendern aneignen sollen, findet sie überflüssig. «Wenn nur die männliche oder weibliche Form verwendet wird, ändert das nichts am Inhalt der Arbeit.» Es sei Gang und Gäbe, eine Form zu verwenden und darauf zu verweisen, dass diese für beide Geschlechter gelte. Grammatikalisch sei gendergerechte Sprache ebenfalls unschön und eine «schiere Erfindung».

Umbricht Pieren will sich und anderen das Leben nicht unnötig schwer machen: «Wer so schreiben will, soll das tun. Aber Vorschriften darüber finde ich lächerlich. Dozierende, die deshalb Abzug geben, finde ich problematisch. Wenn ich einen Text schreibe, versteht man den auch ohne Gendersternchen.» Um das Thema werde aktuell viel Wind gemacht, geholfen sei damit jedoch niemandem. «Die Dinge so zu verkomplizieren, ist nicht sachdienlich. Es gibt genügend wichtigere Probleme, um die man sich kümmern muss.»

Sichtbarkeit für alle?

Die HSG bleibt eine «Studentenschaft»

Die Gender-Thematik hat an der HSG schon einmal für Aufregung gesorgt. Damals setzte sich allerdings die Sichtweise durch, Gendern sei nicht angebracht. Hintergrund war eine Forderung zur Umbenennung der Studentenschaft SHSG zum geschlechtsneutralen «Studierendenschaft». Es entbrannte ein langer Streit. Schlussendlich lehnten die Studierenden selbst die Änderung mit 53 Prozent Gegenstimmen ab. Im Nachgang regte ein HSG-Student sich auf Linkedin über das Beibehalten des Namens «Studentenschaft SHSG» auf: Es sei «traurig», so Diego Hessler Carbonell, «dass an einem Ort der Wissenschaft klare wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und im Zuge der ‹Traditionserhaltung› als unwichtig eingestuft werden.» Die SHSG ist die letzte Deutschschweizer Uni, deren Studierendenvertretung weiterhin die veraltete Bezeichnung trägt.

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