NahostIsrael prescht in Rafah vor – wohin sollen die Palästinenser fliehen?
Im Süden des Gazastreifens zeichnet sich eine prekäre Lage ab. Israel plant eine Bodenoffensive in jenem Gebiet, in dem über eine Million Palästinenser Zuflucht vor dem Krieg gesucht haben.
Darum gehts
Israel plant eine militärische Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens.
Dort befinden sich rund 1,5 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser – ein Grossteil flüchtete aus dem Norden in die südliche Stadt.
Wo sie sich im Falle eines grossen Angriffs in Sicherheit bringen könnten, ist derweil unklar.
Mehrere Länder und die UNO kritisierten das Vorhaben Israels und äusserten Besorgnis.
Die Lage
Rafah liegt im südlichen Gazastreifen nahe der Grenze zu Ägypten. Vor drei Monaten forderte Israel palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten dazu auf, aus dem Norden in die südlichere Region des Gazastreifens zu fliehen. Nun plant Israel, dort mit Bodentruppen einzumarschieren.
Derzeit befinden sich gemäss Schätzungen rund 1,5 Millionen Menschen in Rafah – gemäss Zahlen von 2017 hat die Stadt normalerweise rund 172’000 Einwohner.
Deshalb will Israel angreifen
Israel sagt, dass es in Rafah ein Netzwerk an Hamas-Tunneln gebe, über das weiterhin Waffen geschmuggelt würden. Israel macht die Hamas für die Ansammlung ihrer Streitkräfte in zivilen Gebieten verantwortlich.
Am Freitag wies Premierminister Benjamin Netanyahu das Militär an, einen Evakuierungsplan auszuarbeiten. Bisher wurden seit dem 7. Oktober bereits über 28’000 Menschen durch die israelischen Angriffe getötet und über 67’000 verletzt. Diese Zahlen stammen vom Gesundheitsministerium in Gaza und sind nicht unabhängig überprüfbar.
Wohin sollen die Zivilisten fliehen?
Die Bevölkerung in Rafah ist eingekesselt: Im Süden liegt Ägypten, im Westen das Mittelmeer, im Osten Israel und aus dem Norden rücken die israelischen Truppen näher. Zu Beginn des Krieges erklärte Israel ein Stück ländliches Gebiet an der Küste, das an Rafah angrenzt und als Al Muwasi bekannt ist, zur sicheren Zone. Doch in den letzten Wochen hat es die Zone bombardiert und Truppen entsandt, um Teile davon zu besetzen. Viele Palästinenser in Rafah kamen aus Gaza-Stadt und anderen Teilen des Nordens und wollen dorthin zurückkehren.
Bisher hat Israel keine Bereitschaft gezeigt, eine Massenbewegung zurück in den Norden zuzulassen. Ägypten lehnt einen Massenexodus von Palästinensern auf seinen Boden strikt ab. Israel selbst wird kaum zulassen, dass Hunderttausende von Palästinensern auf seinem Gebiet Zuflucht suchen. «Wir sind erschöpft. Israel kann machen, was es will. Ich sitze in meinem Zelt und werde hier sterben», sagte Jihan al-Hawajri, der jetzt mit 30 Verwandten in einem Zelt lebt, gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Das sagt die UNO
«Mir fallen eigentlich keine Worte mehr ein, wie man die Situation beschreiben kann», sagte der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, gegenüber dem österreichischen Sender Ö1. Es fehle in Rafah an Essen, viele hätten erlebt, dass Familienangehörige getötet wurden. «In so einer Situation noch einen Angriff zu führen, da frage ich mich schon: Was muss noch passieren? Die kollektive Bestrafung der Palästinenser, vor allem auch die Abkoppelung von humanitärer Hilfe, ist eine Verletzung des humanitären Völkerrechts», sagte Türk. Er habe «sehr schwerwiegende Bedenken», dass das, was sich «vor unseren Augen abspielt, noch verhältnismässig ist».
Die UNO warnt auch vor katastrophalen Folgen eines Angriffs – rund 600’000 der 1,5 Millionen Menschen in Rafah seien Kinder. Es wird befürchtet, dass die humanitäre Hilfe vollständig kollabiert bei einem Angriff.
So reagiert das Ausland
«Eine solche Operation in einem Gebiet, in dem eine Million Menschen Zuflucht suchen, ohne Planung und mit wenig Überlegung durchzuführen, wäre eine Katastrophe», sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Vedant Patel, am Donnerstag. «Das ist nichts, was wir unterstützen würden», so Patel. Auch Grossbritannien, Holland, Deutschland und Ägypten kritisieren das geplante Vorgehen scharf.
Südafrika hat zum wiederholten Mal beim internationalen Gerichtshof ein Gesuch eingereicht: Das Gericht soll abwägen, ob Israels Angriffe und geplante Bodenoffensive in Rafah sowohl gegen die Völkermordkonvention als auch gegen die Anordnungen verstossen, die der Gerichtshof im Januar erlassen hat (20 Minuten berichtete). In den Anordnungen hielt der Gerichtshof unter anderem fest, dass Israel alles unternehmen müsse, um Handlungen zu verhindern, die unter die Völkermordkonvention fallen könnten – und die getroffenen Massnahmen in einem Bericht festhalten, der Ende Februar vorgewiesen werden muss.
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