Geschwister: Erstgeborene sind klüger als ihre Geschwister

Publiziert

StudieErstgeborene sind klüger als ihre Geschwister – stimmt das?

Einzelkinder sind Egoisten, Mädchen verträglicher und Erstgeborene klüger – so lauten gängige Vorurteile. Doch stimmen sie wirklich? Eine Psychologin ordnet die Vorurteile ein.

Darum gehts

  • Wie stark beeinflussen Geschwister unsere Persönlichkeit? Diese Frage wurde in einer Studie untersucht.

  • Einige gängige Vorurteile in Bezug auf Geschwister werden in der Studie bestätigt – andere nicht.

  • Julia Rohrer, Mitautorin der Studie, ordnet die Stereotypen ein.

Geschwister spielen in der Kindheit eine wichtige Rolle. Doch wie sehr prägen Bruder und Schwester die Persönlichkeit? Mit dieser Frage hat sich Julia Rohrer von der Uni Leipzig in einer Studie beschäftigt. Und diese zeigt: Geschwister haben einen viel kleineren Einfluss als bisher angenommen.

Frau Rohrer, stimmt es, dass Mädchen ruhiger sind und Jungs dafür umso wilder?
Julia Rohrer: Es gibt tatsächlich verlässliche Daten, die zeigen, dass Mädchen im Schnitt verträglicher sind, eher Rücksicht nehmen und verzeihen. Im Gegenzug sind Jungen risikofreudiger und tendieren dazu, aggressiver zu sein. Im Mittelwert lässt sich diese Aussage also bestätigen.

Es heisst, Mädchen, die mit einem Bruder aufwachsen, seien risikofreudiger. Bestätigt Ihre Studie diese Aussage?
Es kann sein, dass das Mädchen dem Bruder mehr abschaut und daher ein wenig risikofreudiger wird – einen messbaren Effekt gibt es aber keinen. Eine Studie aus dem Jahr 2022 hat aber gezeigt: Frauen mit einem Bruder verdienen im Erwachsenenalter weniger. Grund dafür ist, dass die Erziehung eher stereotypisch aufgeteilt wird. Das Mädchen verbringt eher Zeit mit der Mutter, der Junge mehr mit dem Vater. So werden die Rollenbilder klassisch weitergegeben und die Mädchen üben später eher einen «Frauenberuf» aus, der generell schlechter bezahlt ist.

Und Erstgeborene sind schlauer?
In westlichen Ländern gibt es tatsächlich einen kleinen Effekt auf den Intelligenzquotienten: Das Erstgeborene hat im Durchschnitt zwei bis drei IQ-Punkte mehr. Der Trend lässt sich auf 60 Prozent zu 40 Prozent übernehmen. Trotzdem: Erstgeborene sind nicht per se intelligenter. Dieses Ergebnis lässt sich auf einen interessanten Effekt zurückführen: Das erste Kind hat generell die volle Aufmerksamkeit von beiden Elternteilen und es wird mehr in sie «investiert». Bekommt das Kind ein Geschwister, müssen sich die Eltern in der Erziehung eher aufteilen. Das ältere Geschwister hat also den Vorteil, dass es alleine da war. Weiter ist die Erwartungshaltung der Eltern beim ersten Kind höher und dementsprechend weisen Erstgeborene oft mehr Bildungsjahre auf.

Bist du klüger als deine Geschwister?

Sind deshalb auch Erstgeborene verantwortungsvoller?
Auch hier haben die älteren Geschwister einen Altersvorteil. Da sie die Erstgeborenen sind, rutschen sie automatisch in der Familie in eine Rolle, in der sie mehr Verantwortung tragen müssen und dadurch eher oder früher gewissenhaft werden. Dieser Alterseffekt führt also automatisch zu einer gewissen Dynamik.

«Jüngere Geschwister sind eher rebellisch» – was halten Sie von dieser Aussage?
Diese These lässt sich in der Forschung nicht bestätigen. Jüngere Geschwister haben generell aber mehr Freiheiten und wehren sich öfter, weil die Eltern beim zweiten Kind tendenziell gelassener sind – einfach, weil sie nun geübter sind. Zudem hat ein Kind bereits gewisse Charakterzüge, wenn es auf die Welt kommt. Temperament lässt sich beispielsweise nicht in der Erziehung formen. Was sich aber zeigt: Erstgeborene sind eher in Führungspositionen oder studieren Medizin oder ähnlich. Später geborene gehen eher kreativen Berufen nach wie Journalismus oder im Bereich Kunst.

Es heisst, manche Eltern würden jüngere Geschwister eher bevorzugen. Ist das so?
Das lässt sich aufgrund von Zahlen nicht bestätigen. Jedoch sind Eltern beim ersten Kind noch unerfahren und deshalb viel vorsichtiger. Beim zweiten Kind werden sie gelassener.

Führt diese «Gelassenheit» dazu, dass Erstgeborene eher neidisch sind auf jüngere Geschwister?
Natürlich ist es eine Umstellung für ein Kind, wenn es plötzlich Aufmerksamkeit teilen muss. Ein wichtiger Indikator ist der Altersabstand: Ist dieser zu kurz, kann es zu einem Ressourcenkonflikt zwischen Kindern kommen. Studien zeigen, dass drei Jahre ein idealer Altersabstand ist. Das Zusammenleben ist dann entspannter und es gibt weniger Konflikte – auch bei den Eltern.

Laut Vorurteilen sind Einzelkinder egoistisch und verwöhnt.
Die meisten Stereotype in Bezug auf Einzelkinder sind negativ. Diese stammen aber noch aus einer Zeit, in der man viele Kinder hatte. Also fünf bis sechs. Heute haben die meisten Paare zwei bis drei Kinder. In Studien lassen sich keine systematischen Unterschiede im Vergleich zu Kindern mit Geschwistern feststellen.

Die Studie

In dem Projekt «Effekte der Geschwisterposition auf die Persönlichkeit» untersuchten die Studienautoren mit Daten aus mehreren Ländern, ob die Geschwisterposition die Persönlichkeit beeinflusst. Die Ergebnisse wurden 2022 in der Fachzeitschrift «Psychological Science» veröffentlicht.

Folgst du 20 Minuten schon auf Whatsapp?

Bleib informiert und abonniere den Whatsapp-Kanal von 20 Minuten: Dann bekommst du morgens und abends ein Update mit unseren bewegendsten Geschichten direkt auf dein Handy – handverlesen, informativ und inspirierend. 

Deine Meinung

124 Kommentare